ALT SCHOOL in San Francsico

“The purpose of School is to prepare for the future”

Über die Bay Bridge fahren wir von Oakland zurück in die City, vorbei an der imposant malerischen Skyline der Innenstadt San Franciscos mit wunderbaren Blicken auf Alcatraz, den Pazifik und das Ferry Building.

In der Folsom Street, mitten in der Stadt, finden wir das von außen unscheinbare Bürogebäude der ALT School, die Klassenräume selbst sind einige Straßen entfernt untergebracht. Wir betreten die Schule durch eine Seiteneingangstür und spüren sofort das Flair des Startup workspace. Betonoptik mit edlem  Echtholz, Stahl, Glas, Stehtische mit großen IMac-screens, bequeme Sofas, Stühle, Konferenzmobiliar – ein für die Tech-Szene typisches Ambiente, das inspiriert und zur Kommunikation einlädt. In dem kleinsten Raum neben dem Eingang begann die Geschichte der Schule mit 25 Kindern in einer altersgemischten Gruppe in einem sog. Micro-school setting – heute dient der Klassenraum als Lehrerarbeitsraum – die Schule wird jetzt an einem größeren Standort weitergeführt, um ein besseres soziales Umfeld gewährleisten zu können, wie wir im Gespräch erfahren.

Empfangen werden wir vom CEO und Gründer der Alt School, Max Ventilla und seinem Team, dem Director of Finance and international strategy, und dem Chief Impact Officer, einem ehemaligen Superintendent und Schulleiter aus LA.  Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben wir nicht das Gefühl, uns in einer Umgebung zu bewegen, die etwas mit Schule zu tun hat.

Max stellt sich uns als ehemaliger Google Ingenieur und Vater einer Tochter vor, die zunächst im traditionellen Schulsystem zu lernen begann, das eher Auslese und Segregation produziert als sich der Mission verschreibt, allen Kindern zum schulischen Erfolg zu verhelfen. Auch Chris schickt seine Kinder zur Alt School, ebenso besucht die Nichte von Max den Schulstandort in SF. Die Tech – Väter sind die Gründer der Schulen der Zukunft, die sie aufgrund ihrer beruflichen Biographien besser zu kennen glauben, als die Menschen außerhalb der Google Welt.

Die anschließende Präsentation des Schulkonzeptes führt uns vor Augen, dass es hier um mehr geht als um Pädagogik, Lehren, Lernen und digitale Konzepte  – es geht vielmehr darum, die Zukunft aus der Vergangenheit und der Gegenwart heraus zu verstehen und so die Schule neu zu erfinden: „The purpose of School ist o prepare for the future“.

In einem überaus charismatischen Vortrag erklärt Max seine Vision und was ihn dazu treibt, mit seiner Plattform das Lernen in der Welt des 21. Jahrhunderts so zu verändern, dass der Mensch nach wie vor die Welt gestalten kann, denn 2055, so seine Prophezeiung, wird durch künstliche Intelligenz mehr geistige Kraft außerhalb des menschlichen Gehirns entfaltet werden, als durch unsere Gehirne selbst. Dies sieht er als die logische Konsequenz eines sich exponentiell vollziehende technologischen Wandels. Wir haben es nun in der Hand – entweder die beste oder die schlechteste Zukunft zu kreieren.

Er führt aus, dass in einer Zeit, in der alles wächst, die Schule in ihrer Entwicklung stagniert, Klassenzimmer noch genauso aussehen, wie vor 30 Jahren, die Abschlussquoten stagnieren und Schüler, je länger sie zur Schule gehen immer mehr die Lust am Lernen verlieren. Wenn sich die Schule nicht verändert, werden Roboter bald leistungsfähiger sein als Menschen – das treibt die Gründer dazu, eine Transformation zur Massenpersonalisierung des Lernens einzuleiten, an deren Ende die Schule der Zukunft stehen wird, in der sich die Bildung neu erfunden hat: Education is not preparation for life. It is life itself (Dewy, 1930).

Max betont, dass die digitale Oberfläche nicht das Lehren und Lernen steuert, sondern es so strukturiert, das Lehren und Lernen sichtbar werden und damit eine neue Qualität des Lernens entsteht. Das Plattformdesign folgt dem Prinzip des Lernzirkels: Plan – engage – evaluate- understand – collaborate. Die Angebotsstruktur entspricht, wie in der Khan Lab School dem reformpädagogischen Ansatz von Montessori – dabei sind die Lerngegenstände und Lernwege digital dokumentiert und repräsentiert. Zentral ist das Element des in kurzen Intervallen stattfindenden formativen Feedbacks über die fachlichen Disziplinen hinweg. Die Plattform sorgt für einen „stream of collaboration and sharing“ zwischen Schülern und Lehrern gleichermaßen – ein höchst dynamisches und sich stets weiter entwickelndes Portfolio entsteht. Wie bei Khan wird Lernen durch vereinbarten Ziele gesteuert.

Die Lerngegenstände werden durch „Karten“ auf der Plattform repräsentiert, hinter denen sich die von den Lehrern entwickelten und designten Inhalte oder auch Lern-Apps verbergen. Der Lernprozess ist ausschließlich durch Projekte strukturiert, dabei fiel uns auf, wie sehr darauf geachtet wird, dass die Selbstreflexion durch belegte Leistungen auch nachgewiesen werden muss. Die Plattform steuert den gesamten Prozess und führt alles sichtbar zusammen. Pro Woche bearbeiten die Schüler eine Playlist mit ca. 20 Karten. Ca. 30% der Arbeitszeit erfolgt individualisiert am digitalen Endgerät.

Das Geschäftsmodell der Alt School baut auf die Skalierung der Plattform in den USA und international. Im Moment peilt Max Ventilla den chinesischen Markt an und kooperiert in Piloten mit benachbarten Schulen und Districts. Die Plattform wird nur an die Schulen weitergegeben, die den visionären pädagogischen Konzepten der Gründer offen gegenüber stehen und entsprechende Strukturen geschaffen haben. Das Konzept der realen „Micro – Lab Schools“ verliert immer mehr an Bedeutung, was auch die Schließung zweier Standorte erklärt. Überflüssig werden die Schulen nicht ganz, denn die Software wird in der Laborsituation zwischen Lehrern, Schülern und Technikern entwickelt. Man hat gelernt, dass Technologie alleine keine Antwort auf die schulischen Herausforderungen liefern kann. Es geht also nicht um Abschaffung der Schule, sondern darum, das Lehren und Lernen neu zu erfinden – dazu braucht man die Plattform, so die Logik der Firmengründer.

Wir sind sehr beeindruckt, von der Tiefe und der Kraft, mit der sich die Gründer und Designer der Zukunftsschule mit der Bedeutung und den Formen des Lernens in der Schule des 21. Jahrhunderts auseinandersetzen – wir bedauern, dass wir keinen Einblick in die reale Arbeit mit den Kindern bekommen konnten – wir spüren jedoch, dass die Visionen die Kraft haben werden, unser Denken über Schule nachhaltig zu beeinflussen. Die Zukunftsentwürfe, vor allem deren Herleitungen haben uns überzeugt und wir spüren, wie in keiner anderen Schule, die wir bisher besuchten, den Umbruch und den Aufbruch zu etwas Neuem, allerdings für uns noch Unbestimmbaren.

 

4 thoughts on “ALT SCHOOL in San Francsico

  1. Bei all den bisherigen Berichten stelle ich mir die Frage, ob diese Konzepte auch auf deutsche Schulen übertragbar sind. Der Wandel, den diese Schulen vollzogen haben, scheint aus der Ferne betrachtet so radikal zu sein, dass man sich nur schwer vorstellen kann, diese Konzepte in einer “traditionellen” Schule installieren zu können. (Deutsche) Schule müsste wohl komplett neu gedacht werden.
    Die Gründung eines Bildungs-Startups bzw. Kooperation mit einem Startup scheint für den Erfolg großen Einfluss zu besitzen. Auch das ist für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, inwiefern die Startups zum Gelingen der neuen, digitalen Unterrichtsphilosophie beitragen und wie die Kooperation in Detail aussieht.

    Like

  2. Danke für den Kommentar – stimme voll zu. Beim Union School District handelt es sich um z.B. um einen öffentlichen Bezirk, der mit wenig Ressourcen sehr pragmatisch an die Transformation herangegegangen ist. Weitere Berichte, auch aus öffentlichen Brennpunktschulen werden folgen. “Stay tuned – let’s continue the discussion and see what we can learn.”

    Like

  3. Führen die äußerst inspirierenden Beispiele zu einer Desillusionierung bezüglich der Umsetzungspotentiale oder können wir schon eine Projektgruppe einrichten? ;)) LG

    Like

  4. Das hört sich alles sehr schön und beeindruckend an, aber ich vermisse das Konkrete, Nachvollziehbare für den Beobachter: Was wird da wirklich erreicht? Wo ist der Mehrwert? Was müssen die SuS wirklich tun und was wird dadurch erreicht? Wird da wirklich Bildung generiert oder nur erweiterte digitale Fertigkeiten? Leisten die digitalen Systeme mehr als ein Lernen in Beziehungen? Wie sähe Unterricht konkret aus?

    Like

Leave a comment