UDACITY – die Universität der Zukunft?

 

Bildung ist harte Arbeit – ohne Verbindlichkeit und ein wenig „Zwang“ geht es nicht!

Im Jahr 2011 entstand an der Stanford University einer der meist beachteten Massive Open Online Courses (MOOC). Sebastian Thrun, Professor für Informatik und seit 2003 an der Stanford University, Gründer der Projekte Autonomes Fahren, Google X und Google Glass und einer der visionären Forscher im Bereich der artificial intelligence stellte eine seiner Informatikvorlesungen online: 160.000 Studenten belegten den Kurs, 23.000 von ihnen erlangten einen Abschluss. Dies war der Auftakt einer Vision von universitärer Bildung, die den Traditionsinstituten wie Harvard und Stanford vor Augen führen sollte, dass die Digitalisierung ihre bisher tradierten Geschäftsmodelle durcheinanderbringen könnte und Disruption auch vor Lehre und Forschung nicht halt macht. Thrun gründete die Online – Uni Udacity, die heute weltweit 600 Mitarbeiter beschäftigt. Acht Millionen Studenten belegen Kurse, darunter 80.000, die gebührenpflichtige Angebote wahrnehmen.
Markus Spiering, wie Thrun deutscher Herkunft, verheiratet mit einer Kunst- und Geschichtslehrerin an der German International School of Silicon Valley, führt uns durch den Hauptstandort in Mountain View und gewährt uns Einblicke in die Philosophie und die Vision von Udacity. Im Erdgeschoss befindet sich die Verwaltung, im 2. OG werden die instructional designs und die Vorlesungsvideos produziert – das Büro ist ein einziger Open Space, in dem es ziemlich eng zugeht. Wir erfahren von Markus, dass die Mitarbeiter, die auf einen festen Arbeitsplatz verzichten und sich mit den Schreibtischen begnügen, die gerade frei sind, einen Gehaltsbonus von USD 3.000 ausbezahlt bekommen – eine interessante und logische Antwort auf die Raumknappheit, die das Silicon Valley insgesamt plagt.

Markus erklärt uns, wie sich die Vision und Mission von Udacity seit der Firmengründung 2011 entwickelt hat: Die anfängliche Euphorie, den tradierten Unibetrieb der großen Player durcheinanderwirbeln zu können, wurde schnell gedämpft. Die freien Angebote wurden nur von ca. 2-4% der Kursteilnehmer bis zum Abschluss belegt. Zu Beginn wurden traditionelle Studiengänge angeboten, heute sind es Zertifikate, die Firmen detailliert Aufschluss darüber geben, welche skills die Studenten erworben haben. Insgesamt ist die ursprünglich freie Universität sehr nah an die Firmen des Valley herangerückt – das Kursangebot orientiert sich an den Bedürfnissen der Entwickler z.B., in der Automobil- bzw. Gesundheitsforschung. Markus zeigt uns eine Folie einer beeindruckenden Palette klangvoller Namen von Partnerfirmen im Valley, für die Udacity heute Kurse entwickelt. Die enge Verbindung von Kursangebot und Bedarf an Fachkräften bietet für die Firmen Effektivierung des Personalfindungsprozesses, die Erwähnung des Firmennamens auf der Plattform wird als product branding verstanden. Udacity kann aufgrund seiner unabhängigen Struktur sehr flexibel und schnell auf die Bedürfnisse der Firmen reagieren, so kann z.B. ein Kurs im Bereich autonomes Verfahren in kürzester Zeit entworfen und online gestellt werden – Etablierte Universitäten haben es da schwerer, da Verwaltungswege beschritten werden müssen, um z.B. Studienordnungen zu erstellen, die für anerkannte Abschlüsse unerlässlich sind. Geht ein Kurs bei Udacity online, ist das Curriculum und das entsprechende Design erst zu 20% fertig entwickelt, die übrigen 80% werden nach dem Kursstart erstellt. Die Studenten sehen also zu Beginn noch nicht alle Inhalte, das sog. „Content Unlocking“ geschieht in aufeinanderfolgenden Phasen, die vom Kursanbieter zeitlich getaktet werden. So kann man auf die Teilnehmer und deren Bedürfnisse noch reagieren und den Kurs interaktiv gestalten.
Die Abschlussquote der Kursteilnehmer konnte in den letzten Jahren auf 40% gesteigert werden, dazu musste man sich von der Idee verabschieden, dass jeder Student zu jeder Zeit einen Kurs beginnen und auch abschließen kann. Heute gibt es fest gesetzte Kursauftakte, Meilensteine und verbindliche Abschlusstermine. In China arbeitet Udacity unter anderem mit „blended learning“ Szenarien – der Mix aus Online Studium und Präsenzphase hat die Abschlussquote auf 60% erhöht. „Bildung ist kein Spaß, sondern harte Arbeit – ohne Verbindlichkeit und ein bisschen Zwang geht es nicht“ verrät uns Markus mit einem Augenzwinkern.

Aus der pädagogischen Brille interessiert uns der Aufbau des „instructional design“ – die Inhalte der Kurse bestehen aus Texten, Videos, Grafiken und sog. Coding Challenges, d.h. Projekte, die erarbeitet werden sollen. Hat ein Student ein Programmiermodul zu Ende bearbeitet, kann er damit rechnen, dass er spätestens innerhalb von 2-4 Stunden ein Feedback von einem Dozenten bekommt – dafür muss Udacity weltweit ca. 1000 „reviewer“ beschäftigen – ohne Personal geht es also auch in einer Online Uni nicht! In der Gründungsphase setzte man vor allem auf Quizzez und Tests, die wurden schrittweise durch die Arbeit an Projekten abgelöst, die zwischen drei und neun Wochen dauern. Für die weiteren Versionen der Plattform sind Austauschforen für die Studenten geplant, um die Interaktion und Vernetzung unter den Teilnehmern zu fördern – bislang hatten die Designer darauf verzichtet, denn das Ablenkungspotential erschien zu hoch. Die Videotutorials werden immer mehr durch animierte Filmsequenzen und grafische Formate ergänzt – Videos zu produzieren ist aufwändig, sind sie einmal fertiggestellt, lassen sie sich schwer nachbearbeiten, so die Einsicht der Designer. Nach jeder Lektion bewerten (raten) die Studenten die Inhalte und Vermittlungskanäle, das Feedback wird gezielt zur Verbesserung des Designs benutzt. Die Kosten für Produktion eines MOOC liegen im sechsstelligen Bereich. Es ist nicht daran gedacht auf Dauer mit fest angestellten Dozenten zu arbeiten, denn das Geschäftsmodell wäre so nicht skalierbar.

Udacity ist in seiner siebenjährigen Firmengeschichte von einer Produktfirma zu einer Plattformfirma umgestaltet worden, die das Hauptaugenmerk auf das Design der Lernumgebung („instructional design“) gelegt hat, so sind nebenbei auch ein eigenes Content Managementsystem und eigene Assessment tools entstanden: Die Verantwortlichen haben schnell erkannt, dass die Qualität der digitalen Lernumgebung entscheidend für die Motivation und letztlich damit für den Studienerfolg der Teilnehmer sind. Analoge Inhalte einfach in Onlineformate zu transferieren reicht nicht aus, um Bildungsangebote wirksam werden zu lassen.

Unser Besuch bei Udacity markiert das Ende des 4. Tages im Silicon Valley: Für uns entsteht ein immer klareres Bild vom Mindset der Akteure Silicon Valley: Vision und Produkt simultan entwickelt, die Inkubationszeit von der Idee zur Umsetzung ist extrem kurz, Wege entstehen beim Gehen, Fehlentwicklungen und Schwachstellen werden nüchtern identifiziert und es wird ggf. justiert oder angepasst – zu Beginn gibt es keinen Zwang, das perfekte Endprodukt bereits in den Händen zu halten. Fehler passieren, damit man aus ihnen lernt – die Akteure verstehen sich als vernetzte „Life Long Learners“.

Bildungsangebote für die Onlineplattform so aufzuarbeiten, dass sie Wirksamkeit entfalten, bedarf der Entwicklung seminardidaktischer Modelle, die neben der Vermittlung von Inhalten in besonderem Maße Augenmerk auf die Förderung und Erhaltung der Motivation der Teilnehmer legen. Udacity kann spezifische Bildungsangebote im technischen Bereich, die konkret von der Industrie angefragt werden, anbieten und so sehr effektiv und schnell Fachkräfte ausbilden, die der Markt benötigt – das Angebot einer Universität wird dadurch nicht ersetzt, sondern bestenfalls ergänzt.
Das erfolgreiche Absolvieren eines Online Kurses stellt besonders hohe Anforderungen an die Teilnehmer im Hinblick auf ihre intrinsische Motivation, Durchhaltevermögen und Selbstverantwortung. Diese Erkenntnis gilt es, für das Design von Plattformen im schulischen Bereich zu interpretieren und umzusetzen.

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